3.1 Wasser und Luftfeuchtigkeit

Wasser ist der größte natürliche Feind aller audiovisuellen Träger. Es übt sowohl direkte chemische als auch indirekte Einflüsse auf ihre Stabilität aus. Die direkten Einflüsse umfassen Hydrolyse und Oxidation verschiedener Trägerkomponenten, aber auch die Auflösung einiger Trägermaterialien.

3.1.1 Hydrolyse ist eine durch Wasser bewirkte chemische Reaktion, welches in Form der Luftfeuchtigkeit omnipräsent ist. Einige Polymere sind hydrolytischen Prozessen ausgesetzt, wobei Säuren und metallische Ionen als Katalysatoren wirken. Die Reaktion ändert die chemischen und physikalischen Eigenschaften des ursprünglichen Polymers, wobei oft ein Nebenprodukt entsteht, das als Auto-Katalysator den destruktiven Prozess verstärkt. Einige hydrolytische Prozesse sind (teilweise) umkehrbar, mache nicht.

3.1.1.1 Das Vinegar-Syndrom. Eine weithin bekannte hydrolytische Polymer-Reaktion ist das sogenannte Vinegar-Syndrom. Dieser Prozess, der Filme aus Celluloseacetat (CA) bis zur Unspielbarkeit zerstört, wurde erstmals in den späten 1940er Jahren beobachtet, ist aber im größeren Ausmaß seit den 1980er Jahren besonders in tropischen Filmarchiven bekannt geworden. Essigsäure ist eines der Reaktionsprodukte dieses Prozesses, dessen Geruch namensgebend war. Mit dem Fortschreiten der Reaktion verlieren betroffene Filme ihre Struktur und werden unspielbar.

Magnetische Filmtonträger mit einer Folie aus CA sind wegen der katalytischen Eigenschaften von Metallen, hier die Form des Eisendoxids als magnetischem Pigment, gefährdet. Tonbänder aus CA sind ebenso betroffen, jedoch wegen ihrer sub-kritischen Masse nicht in jenem starken Ausmaß wie Filme. Abgesehen vom Geruch dienen säureempfindliche Teststreifen als objektive Überprüfungshilfen. CA Hydrolyse ist nicht umkehrbar.

3.1.1.2 Zersetzung von Pigment-Bindemitteln. Einige Bindemittel moderner Magnetbänder (2.2.1.1.2) unterliegen hydrolytischen Prozessen, wodurch die Bänder klebrig werden. Da dieser Prozess bis zu einem gewissen Grad umkehrbar ist, können solche Bänder im Allgemeinen wieder spielbar gemacht werden, indem sie geringen Luftfeuchtigkeitswerten, erhöhten Temperaturen, oder einer Kombination beider Maßnahmen ausgesetzt werden. (Zu den Details siehe IASA-TC 04, 5.4.3.3.) Jüngere Erkenntnisse haben aber gezeigt, dass Hydrolyse von Bindemittel nur eine von mehreren Ursachen für klebrige Bänder ist („Sticky Shed Syndrome SSS“, siehe 2.2.1.1.2).

3.1.2 Direkter Kontakt mit Wasser ist nur für wenige Aufnahmeplatten gefährlich: für Platten aus Gelatine, Karton und ähnlichen Materialien, sowie für Festplatten. Für die anderen Träger ist Wasser nicht unmittelbar gefährlich, sofern der Kontakt kurz ist, der Träger sorgfältig gereinigt wird, sofern das Wasser verschmutzt war, und die Träger möglichst bald nach dem Kontakt mit Wasser sorgfältig getrocknet werden. Daher wird als Vorbereitung für die Abspielung von Vinyl- und Schellackplatten die Reinigung mit ionenfreiem Wasser unter Verwendung von professionellen Plattenreinigungs- Maschinen empfohlen (IASA-TC 04, 5.2.3, 5.3.3).

Das größte Problem mit Trägern, die einem Wassereinbruch ausgesetzt waren, besteht in der logistischen Herausforderung der Reinigung und Trocknung der betroffenen Träger, besonders bei Magnetband-Kassetten, ein weiteres in der Trennung der Träger von Papier und Karton, wie zum Beispiel von LP Plattenalben, und deren rasche Trocknung, bevor sie von Schimmel befallen werden. Sind größere Mengen betroffen, wird Vakuum- Tieffrierung, wie sie erfolgreich für die Rettung von Papier und Buchmaterialien entwickelt worden ist, die einzige Chance darstellen, Begleitmaterialien aus Papier oder Karton zu retten. Die Anwendbarkeit dieser Methode ist aber für die Trägermaterialien selbst, besonders für Magnetbänder, noch nicht ausreichend erforscht. (Zur Vorbeugung von Wassereinbrüchen siehe 4.2).

3.1.3 Oxidation ist eine weitere chemische Reaktion unter dem Einfluss von Wasser. Sie ist eine potentielle Gefahr für die nicht-oxidischen Reineisenpigmente, die für Compact Cassetten der Type IEC IV, für R-Dat, und für die meisten digitalen Videoformate verwendet werden (2.2.1.1.1.2) Oxidation greift auch die reflektierenden Schichten von optischen Platten an, mit Ausnahme von Schichten aus Gold.

3.1.4 Dimensionale Beeinflussung. Feuchtigkeit hat auch einen Einfluss auf die Dimension von Materialien, die als Komponenten von audiovisuellen Trägern eingesetzt werden. Für CA Bänder wird der feuchtigkeitsabhängige Ausdehnungskoeffizient fünfzehn mal höher als für Polyesterbänder angegeben.18 Ein hoher Ausdehnungskoeffizient muss auch für verschiedene Materialien, die in Aufnahmeplatten Verwendung finden, beachtet werden, so für Karton, Gelatine bzw. für die informationstragende Lackschicht.

3.1.5 Indirekter Einfluss durch Biodegradation. Wasser versursacht Biodegradation, besonders Schimmelbefall, der bei längerer Lagerung bei relativer Luftfeuchtigkeit von 70% und darüber auftritt. Schimmelpilze aller Art sind überall auf der Welt vorhanden, die nahezu alle audiovisuellen Träger befallen können. Schimmelpilze „fressen“ sich in die Oberflächen von analogen mechanischen Trägern, was zu exzessiven Oberflächengeräuschen führt – ein besonders Problem bei Wachszylindern. Schimmel befällt Magnetbänder, was die Wiedergabe schwer bis unmöglich macht. Sie befallen auch CDs und führen zu deren Unspielbarkeit. Chemische Behandlung sollte nur als letzte Maßnahme ergriffen werden. Nachteilige chemische Reaktionen, besonders mit der Vielzahl von magnetischen Bindemitteln, können nie ausgeschlossen werden. Chemische Behandlung kann auch die Gesundheit der Mitarbeiter gefährden.

Wegen ihrer potentiellen Gefährdung der Träger, sowohl direkt, wie auch indirekt, muss Schimmelbefall mittels niedriger relativer Luftfeuchtigkeitswerte verhindert werden. Jeder direkte Kontakt mit Wasser, auch wenn er im Prinzip zulässig ist, muss so kurz wie möglich gehalten werden.

3.1.6 Gegenseitige Abhängigkeit. Beachtet werden muss die gegenseitige Anhängigkeit von relativer Luftfeuchtigkeit und Temperatur (Detail unter 3.2.3).


18. FIAF 1986., 11.1.1.2.