10. Digitale Zielformate und Genauigkeit

Wie alle Formen der digitalen Technologie sind digitale Kodierungsschemata (Formate) Gegenstand weiterer Entwicklungen. Folglich wird sich auch die Diskussion über die geeignetsten Archivierungsformate ständig weiter entwickeln. Unabhängig von den jeweils verfügbaren Möglichkeiten aber können einige Prinzipien bei der Wahl von Zielformaten angewandt werden:

  • Dateiformate bieten höhere Datensicherheit und bessere Möglichkeiten der Datenüberwachung als trägergebundene Formate, die Datenströme (DAT, Audio CD, oder Digital Betacam) beinhalten.
  • Wenn digitale trägergebundene Inhalte (z.B. von DAT oder DV Kassetten) übertragen werden, muss die resultierende Datei, sofern angemessen, das Kodierungsschema des originalen Datenstroms bewahren. Wo dies unangebracht ist, z.B. bei verlustbehafteten oder proprietären Schemata (siehe Kapitel 11), sollte ein Schema gewählt werden, das die Integrität des Originals bewahrt.
  • Eine wesentliche Voraussetzung für alle Archiv-Dateiformate besteht in der Forderung, dass die für Bewahrungszwecke verwendeten Kodierungsschemata offen definiert und nicht proprietär oder von einer beschränkten Zahl von Anbietern abhängig sind.
  • Wo es nur wenig oder gar keine Übereinstimmung innerhalb der Archivgemeinschaft bezüglich der Wahl eines Formats für einen bestimmten Zweck gibt, sind Archive angehalten, solche Formate zu wählen, für die sie selbst mit relativer Sicherheit für nachhaltige Unterstützung sorgen können. Das setzt genügende Mittel, ausreichende Expertise, sowie auch fortgesetzte weitere Industrieunterstützung für das Format voraus.
  • Das Archiv muss gewährleisten, dass das gewählte Format imstande ist, die mindesterforderliche Kombination von Primär- und Sekundärinformation zu erhalten.

Kommentar:

Archivmaster werden im Allgemeinen im Zielformat in einer einzigen Datei gehalten, in dem ein Container die primäre Ton- bzw. Ton- und Bildinformation trägt, zusammen mit Sekundärinformationen wie Titel, Untertitel, Timecode und anderen Hilfsdaten. In einigen Fällen aber werden die Sekundärinformationen in sogenannten „Sidecar“-Files (Filialdateien) gehalten. Ein solches Vorgehen ist nicht ungewöhnlich für Titel und Untertitel und kann für gleichförmigsystematische Materialien wie z. B. Schallplatten-Labels angewandt werden.

Für Schallaufnahmen ist das Broadcast WAVE Format (BWF) de-facto-Standard geworden. Dieses Format wird offiziell vom IASA Technischen Committee empfohlen (siehe IASA-TC 04, 6.1.2.1). Broadcast WAVE Files können, wie alle WAVE Dateien, 4 GB nicht überschreiten und sind auf Mono- bzw. Zweikanal Stereo-Aufnahmen beschränkt. Zur Bewältigung größerer Datenmengen bzw. Mehrkanalaufnahmen hat die EBU das RF 64 BWF File für eine maximale Größe von rund 16 Exabyte und bis zu 18 Kanälen definiert.

Zur Digitalisierung originaler analoger Schallaufnahmen empfiehlt die IASA eine digitale Mindestauflösung von 48 kHz Abtastrate mit einer Wortlänge von 24 bit. Gedächtnisinstitutionen verwenden verbreitet eine Auflösung 96 kHz / 24 bit. Die Übertragung von unerwünschten Teilen eines Tondokuments (vgl. Kapitel 8) in höherer Auflösung wird die Entfernung dieser Artefakte bei der späteren Herstellung einer Benutzerkopie erleichtern. Wegen des transienten Charakters der Konsonanten sind Sprachaufnahmen Musikaufnahmen gleichzustellen.

Wenn Primärinformationen auf Platten oder Zylindern berührungslos mittels optischer Abtastung abgelesen werden, sollen diese Abtastdaten selbst das Hauptelement der Archiv-Masterdatei bilden, und nicht ein von dieser abgeleiteter konventioneller Audio-Datenstrom.

In Gedächtnisinstitutionen sind Zielformate für Archiv-Masterdateien für Bewegtbilder derzeit in einer frühen Einführungsphase. Für Video haben einige Institutionen eine Variante des von der SMPTE standardisierten MXF Containers mit einer Bilddarstellung in verlustlos-komprimierter JPEG 2000 Kodierung eingeführt. Mittlerweile sind andere Institutionen mit der verlustlosen FFV1 Kodierung vorangeschritten, wobei das Bildsignal und die begleitenden Tonspuren in Containern wie Quick Time, Matroska, oder AVI eingebettet sind.

Das von Gedächtnisinstitutionen meist gewählte Zielformat beim Scannen von Film ist das von SMPTE standardisierte DPX-Format. Gleichzeitig erproben einige Archive Verfahren, die den Transport von Synchronton- und Bildsignalen im gleichen Container und/oder die Einbettung zusätzlicher Farbinformationen erlauben. Diese Erkundungen bedingen die Umformatierung der ursprünglich hergestellten DPX Bildsignale (und Tonspuren) in Archiv- Dateien wie sie für Video verwendet werden, z. B. verlustloses JPEPG 2000 in MFX oder FFV1 in einem Quick Time bzw. Matroska Container.

Unter Umständen kann die Migration audiovisueller Inhalte auch unpraktikabel sein, zum Beispiel aufgrund besonderer integraler Eigenschaften, wie man sie in Videospielen findet, oder als Folge von Kopierschutz. Zukünftige Verfügbarkeit wird daher von der Emulation der ursprünglichen Betriebssysteme bzw. der Anwendungssoftware abhängen.

Archive können Materialien in Dateiformaten erhalten, deren Umkodierung in Archivformate eine irreversible Veränderung der Darstellung des Inhalts mit sich brächte. In solchen Fällen müssen Authentizität und die Aussicht auf bessere Transkodierungs-Methoden in Betracht gezogen werden. Das Archiv kann sich für das Aufheben der ursprünglich akquirierten Dateien entscheiden, zusammen mi der transkodierten Version, die eine bessere Chance hat, langfristig wiedergegeben werden zu können, oder einfach die Transkodierung durchzuführen, die neuen Kopien zu behalten und das Original auszuscheiden. Diese letzte Option könnte besonders Grenzfälle betreffen wie zum Beispiel Videoclips, die im Zug eines Web-Harvesting Projektes gewonnen wurden.

Auf sehr lange Sicht scheint die künftige Migration von allen Formaten unausweichlich. Daher muss ein Archiv wenn immer möglich bestrebt sein sicherzustellen, dass bei zukünftigen Migrationen von jedem gewählten Format aus alle Informationen gleichermaßen bewahrt werden.