2.1 Mechanische Träger

2.1.1 Aufnahmeverfahren

Mechanische Träger stellen die ersten verbreiteten Trägertypen für Schallaufnahme und -wiedergabe dar. Das erste funktionsfähige Verfahren war der Zylinderphonograph, erfunden von Thomas A. Edison 1877,6 verbessert und auf dem Markt gebracht ab dem Jahr 1888. Ursprünglich als Büromaschine für Diktatzwecke entwickelt, wurde er verbreitet für wissenschaftliche Zwecke zu Aufnahmen von Sprache und ethnischer Musik seit 1890 bis in die 1950er Jahre hinein eingesetzt. Zylinder wurden auch als vervielfältigte Tonträger von der phonographischen Industrie produziert. Diese waren aber kommerziell weniger erfolgreich als die Schallplatte, sodass die vervielfältigten Zylinder in den späten 1920er Jahren vom Markt verschwanden, während das Format für Aufnahmezwecke weiter im Einsatz war. Den Markt der vervielfältigten Tonträger beherrschten mechanische Plattenformate vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die 1980er Jahre, in denen sie von der Compact Disc abgelöst wurden.7

Bei der Aufnahme von mechanischen Trägern wird der Schall als Funktion von Luftdruckschwankungen in die Bewegung eines Schneidstichels umgewandelt und in die Oberfläche eines rotierenden Mediums eingraviert. Ursprünglich wird das rein mechanisch ausgeführt: Der Schall wird von einem Trichter eingefangen und bewegt an dessen Ende eine Membrane. Die Membrane ist entweder direkt oder mit einem Hebelsystem mit einem Schneidstichel verbunden, der die Bewegungen der Membrane in die Oberfläche eines rotierenden Wachszylinders oder einer Wachsplatte graviert. Die Wiedergabe erfolgt mittels Umkehrung des Prozesses: eine Abtastnadel wird von der modulierten Rille bewegt und erregt die Membrane, deren Schwingungen durch den Trichter verstärkt werden.

Mitte der 1920er Jahre wird dieser akusto-mechanische Prozess durch ein elektro-magnetisches System abgelöst, bei dem der Schall durch ein Mikrophon in ein elektrisches Signal gewandelt wird, das einen elektrisch angetriebenen Schneidstichel steuert. Die Wiedergabe wird ebenfalls durch ein elektrisches Abnehmersystem verbessert, dessen Signale mit entsprechender Verstärkung die Membranen von Lausprechern bzw., Kopfhören bewegen. In jüngerer Zeit wurden optische, kontaktlose Verfahren zur Wiedergabe mechanischer Träger entwickelt, die allerdings aus mehreren Gründen keine weite Verbreitung gefunden haben. (Zur Signalwiedergabe bei mechanischen Trägern IASA-TC 04, Kapitel 5.2 und 5.3).


6. Der erste Zinnfolien-Phonograph [„tinfoil phonograph“] der Jahre 1877-78, der Aufnahmen durch die Gravierung einer Zinnfolie herstellte, die um einen Zylinder gewickelt war, ist von dem danach entwickelten Zylinderphonograph („cylinder phonograph“) zu unterscheiden, der durch das Schneiden einer Rille eine Aufnahme auf einem (kompakten Zylinder herstellte.

7. Anmerkung der Übersetzer: Die Langspielplatte („Vinylplatte“) hat jedoch in den letzten Jahren ein erstaunliches Comeback erlebt.

2.1.1.1 Zylinder

Bei Zylindern ist die Rille als schraubenförmige Spirale in die Oberfläche eingeschnitten. Die Modulation des Schallsignals erfolgt vertikal (Tiefenschrift, „hill and dale“).


Abb. 1: Aufnahme- und Wiedergabeverfahren bei Zylindern.

Man unterscheidet selbst- (direkt-) geschnittene („instantaneous“) Zylinder von replizierten (vervielfältigten). Vervielfältigung geschah entweder durch einen Kopierprozess von einem Master, von dem eine Anzahl von Kopien („Slaves“) hergestellt werden konnte. Eine andere Methode verwendete ein galvanoplastisch erzeugtes Negativ: das war eine Kupferröhre, die eine „invertierte“ Rille an der Oberfläche ihrer Innenseite aufwies. Sie wurde zur Herstellung von Wachsabgüssen oder von Zelluloid (Celluloseacetat)-Schläuchen herangezogen, die mittels Dampf unter hohen Druck geformt wurden. Diese Zelluloidschläuche wurden dann durch einen Kern aus Gips oder anderen Materialien verfestigt.


Abb. 2: Replizierte Zylinder: Wachs (links), Zelluloid (Mitte), sowie ein „Pathe“ aus Wachs.

 


Abb. 3: Selbst-geschnittene Zylinder: Aus Wachs mit Schimmelbefall (links) und ein „Edison Concert“ (rechts).

Die verschiedenen für Wachszylinder verwendeten Wachszusammensetzungen sind ziemlich stabil, sofern sie richtig gelagert werden. Wachs ist aber sehr anfällig für Schimmelbefall, und es tritt verbreitet Schimmelbefall auf, weil viele Zylinder im Verlauf ihres früheren Lebens unsachgemäß gelagert wurden. Schimmel attackiert die Oberfläche von Zylindern aggressiv und scheint besonders Wachs als Nahrung zu bevorzugen. Zusätzlich ist der Stoffwechselprozess mit der Absonderung von Säuren und Enzymen verbunden, die das Zylindermaterial zusätzlich schädigen. Eine völlige Entfernung ist nicht möglich, daher ist die Verhinderung eines weiteren Schimmelwachstums von größter Bedeutung. Eine chemische Zersetzung kann auch unter jenen Bedingungen entstehen, die Schimmelbildung fördern. Dies kann zu Ausblühungen („efflorescence“) führen, die als Schimmel missgedeutet werden, vermutlich aber auf die Zersetzung von Bestandteilen metallischer Seifen zurückzuführen sind.

Zelluloidzylinder leiden unter der Versprödung ihrer Zellulosenitrat-Oberfläche. Katastrophale Zersetzungen, wie man sie von Nitrofilmen kennt, sind noch nicht beobachtet worden. Mechanisch sind alle Wachszylinder sowie die Gipskerne von Zelluloidzylindern äußerst zerbrechlich.

2.1.1.2 Makrorillenplatten

Emile Berliner hat das Grammophon 1887 erfunden. Die Rille ist als Spirale auf der Oberfläche einer Platte angeordnet. Im Allgemeinen erfolgt die Modulation horizontal, im Gegensatz zur vertikalen Modulation bei Zylindern. Nur wenige Plattenformate (Pathé, Edison) haben vertikal geschnittene Rillen. Der große Vorteil der Plattenform, abgesehen von der leichteren Aufbewahrung, liegt in der Möglichkeit der einfachen Herstellung galvanoplastischer Negative zur Vervielfältigung durch Pressung. Da die Zahl der möglichen Abpressungen limitiert ist, wird das erste Metallnegativ („Vater“) nur zur Herstellung eines Metallpositives („Mutter“) herangezogen, die ihrerseits zur Produktion einer unbegrenzten Zahl von Pressmatrizen („Söhne“) dienen. Diese zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte Methode dient heute noch zur Herstellung von Mikrorillenplatten („Vinyls“) und für die Produktion replizierter CDs, DVDs und BDs.


Abb. 4: Das Aufnahmeprinzip von Makro- und Mikrorillenplatten.

 

2.1.1.2.1 Vervielfältigte Makrorillenplatten. Die Mehrheit der Makrorillenplatten – die sogenannten Schellackplatten – bestehen aus einer Mischung von Mineralmehlen, die von Bindemitteln, ursprünglich Schellack, gebunden werden. Die Mineralien sind chemisch im Allgemeinen sehr stabil, sofern sie unter halbwegs trockenen Bedingungen gelagert werden. Allerdings sind die Platten fragil und zerbrechen, wenn sie fallen gelassen werden. Abgesehen von Schellackplatten gibt es andere Plattentypen in geringeren Zahlen aus verschiedenen Materialien, oft von geringerer Stabilität, wie etwa die Edison Diamond Discs, die sehr feuchtigkeitsempfindlich sind.8

2.1.1.2.2 Aufnahmeplatten (Direktschnittplatten, Selbstschnittfolien, „instantaneous discs“) waren vor der Einführung des Magnetbandes in den Rundfunkanstalten weit verbreitet, Sie ermöglichten direkte Aufnahme und Wiedergabe ohne galvanoplastische Verarbeitung und Abpressung. Ihre Oberflächen waren weich genug, um einen Rillenschnitt zu erlauben und hart genug, um mehrere Anspielungen zu gestatten. Sofern sie nicht unmittelbar durch ihr Aussehen erkennbar sind, können praktisch alle Aufnahmeplatten durch ihre hand- oder maschinengeschriebenen Etiketten erkannt werden.

Es gibt homogene Platten, die aus einem einheitlichen Material bestehen, zum Beispiel Aluminium, Zink, PVC oder Gelatine, und laminierte Platten, bei denen der Kern und die Oberfläche mit ihrer geschnittenen Rille aus verschiedenen Materialien bestehen.

2.1.1.2.2.1 Lackplatten (Lackfolien). Die weitest verbreitete Form von Aufnahmeplatten stellen die laminierten Lackplatten oder „Azetatplatten“ dar. Die Information trägt der Lacküberzug, der meist aus Zellulosenitrat mit den Weichmachern Castor-Öl oder Kampfer besteht. Die Kerne, die die informationstragende Schicht stützen, bestehen allgemein aus Metall, meist Aluminium oder Zink, bisweilen auch aus Glas, Karton oder Papier.

Lackplatten können leicht identifiziert werden, weil ihr Kernmaterial an den Rändern bzw. im Mittelloch zwischen den Lackschichten sichtbar ist.

Zellulosenitrat zersetzt sich kontinuierlich mit fortschreitender Zeit durch den Kontakt mit Luftfeuchtigkeit und Sauerstoff. Dieser Prozess erzeugt Säuren, die als Katalysator diese hydrolytischen Prozesse verstärken. Der fortschreitende Prozess, verbunden mit dem Verlust von Weichmachern, verursacht zunehmende Versprödung sowie ein Schrumpfen der Lackschicht.

Da aber der Lack auf einem starren Material aufgetragen ist, führen die inneren Spannungen letztlich zum Rissigwerden bis hin zur Absplitterung der Lackschicht, und damit zum Verlust der signaltragenden Schicht. Die mechanische Instabilität der Kernschichten aus Karton bzw. Papier führt oft zu Unebenheiten oder aufgebrochen Oberflächen, während Platten aus Glas oft zerbrechen.


Abb. 5: Zerfall einer Lackplatte mit einem Metallkern zwischen 1990 – 2001.

 


Abb. 6: Lackplatte auf Kartonbasis im Zug der Alterung (Stig-Lennard Molneryd).

Weil die inneren Spannungen schwer zu erkennen sind, sollten Lackplatten nicht mechanischen und thermischen Belastungen ausgesetzt werden. Da die weitere Lebenserwartung unvorhersagbar ist, sollten die auf solchen Platten aufgenommen Signale ehestens in digitale Files überspielt werden, bevor sie verloren gehen.

2.1.1.2.2.2 Andere Aufnahmeplatten. Neben den Lackplatten sollten auch alle anderen Aufnahmeplatten unabhängig von ihrer jeweiligen Zusammensetzung als gefährdet eingestuft werden.


8. Zu frühen Makrorillenplatten siehe St-Laurent 1996.

2.1.1.3 Mikrorillenplatten („LPs“, „Vinylplatten“)

Seit den späten 1940er Jahren wurde ein neues Material für die Vervielfältigung von Schallplatten durch Pressung eingesetzt, ein Ko-Polymer aus Polyvinylchlorid (PVC) und Polyvinylazetat (PVA), das für zwei neue Formate verwendet wurde: Die Plattenfirma RCA entwickelte eine 17 cm- Platte (7 Zoll) mit einer Spieldauer von drei Minuten bei 45 Umdrehungen pro Minute – in Bezug auf die Spieldauer eine Fortsetzung der alten Schellackplatte. Columbia startete eine 25 cm (10 Zoll) Platte, später vergrößert auf 30cm (12 Zoll), mit einer Umdrehungszahl von 33 1/3 pro Minute und Spielzeiten von 15 bzw. 25 Minuten. Die amorphe Struktur des Materials verursacht überdies im Vergleich zur Schallackplatte wesentlich weniger Oberflächengeräusche.

Das PVC/PVA Ko-Polymer, umgangssprachlich als „Vinyl“ bezeichnet, ist chemisch sehr stabil. Mit Ausnahme weniger früher Exemplare ist der Durchschnitt der Vinylplatten chemisch in gutem Zustand. Da aber das Material relativ weich ist, ist es empfindlich für Schäden durch Zerkratzen oder Abrieb.

In der Frühzeit wurden geringe Mengen von Mikrorillenplatten mittels Spritzguss aus Styrene hergestellt. Sie können an ihrem leichten Gewicht und der relativ matten Oberfläche – im Gegensatz zu der glänzenden von Vinylplatten – gut erkannt werden. In der Wiedergabe haben sie ein höheres Oberflächenrauschen als Vinylplatten. Stabilitätsprobleme mit diesem LP-Typ wurden nicht beobachtet.

2.1.2 Abnützung durch Wiedergabe

2.1.2.1 Allgemeine Empfindlichkeit. Die mechanische Abtastung verändert bei allen mechanischen Trägern die Rillenform zu einem gewissen Grad. Besonders Zylinder und Makrorillenplatten wurden durch das Abspielen mit historischen Geräten durch die hohen Abtastkräfte und die Trägheit ihrer alten Abspielmechanik beschädigt. Zusätzlich tragen inadäquate Formen und Materialien der Abtastnadeln sowie mangelhafte Bedienung der Geräte zur Beschädigung der Rillen bei. Auch Mikrorillenplatten leiden unter der Wiedergabe mit minderwertigen und schlecht justierten Abspielgeräten. Daher weisen die meisten erhaltenen mechanischen Träger nicht mehr ihre ursprüngliche Rillenform und Signalqualität auf. Hingegen ermöglichen sorgfältig gewählte und justierte Anspielgeräte in Verbindung mit geschickter Bedienung die Wiedergabe aller mechanischen Träger ohne nennenswerte Abnützung.9

Zylinder, frühe Schellackplatten, sowie sämtliche Aufnahmeplatten müssen erfahrenen Spezialisten überlassen werden. Schellackplatten ab ca. 1930 sowie Mikrorillenplatten können aber durchaus von geschickten Mitarbeitern mit besonderer Einschulung digitalisiert werden.

2.1.2.2 Justierung und Wartung von Geräten. Bei konventionellen, schwenkbar gelagerten Tonarmen müssen folgende Parameter sorgfältig eingestellt werden:

  • Die effektive Länge des Tonarms zur Minimierung des unvermeidlichen tangentialen Abtastwinkels;
  • die geeignete Auflagekraft („Nadeldruck“);
  • die passende Anti-Skating Kompensation;
  • die richtige Höheneinstellung des Tonarms (parallel zur Platte im Zustand der Abspielung), um den korrekten vertikalen Abtastwinkel zu erzielen (siehe hierzu IASA-TC 04, 5.2.4, 5.3.4).

Bei tangentialen Tonarmen beschränken sich die Einstellungen auf die Position der Abtastnadel und die Auflagekraft.

Die Wartung umfasst:

  • Regelmäßige Kontrolle und Reinigung der Abtastnadel;
  • gelegentliche Reinigung des Plattentellers und des Antriebsriemens;
  • bei tangentialen Tonarmen die gelegentliche Reinigung der Laufschiene;
  • die gelegentliche Schmierung der Tellerlager mit dünnflüssigem säurefreiem Öl.

Gummi- und Plastikteile dürfen nur mit destilliertem Wasser und milden Spülmitteln gereinigt werden.

Moderne Zylinderspieler müssen in engem Einvernehmen mit den Herstellern gewartet werden.

Die Führung von Logbüchern für jedes einzelne Wiedergabegerät und die sorgfältige Dokumentation aller Justage- und Wartungsarbeiten ist unerlässlich.


9. Sogar Wachszylinder leiden nicht durch wenige Abspielungen, sofern sie von Experten mit modernen, hochqualitativen Geräten und gut gewählten Abtastnadeln durchgeführt werden.
Die optische Wiedergabe von mechanischen Trägern beschäftigt Ingenieure seit Dekaden. Eines der Hauptargumente jedoch – die Vermeidung von Rillenabnützung infolge mechanischer Abtastung –ist nur von theoretischer Bedeutung. Zur optischen Abtastung siehe IASA-TC 04, 5.2.4.1.4.

2.1.3 Strategische Maßnahmen für die Benützung von Beständen mechanischer Träger

Ursprünglich wurden in Rundfunk- und National-Archiven mindestens zwei Exemplare von vervielfältigten Schallplatten gehalten: eines für den Gebrauch, ein zweites „unberührbares“ Exemplar zur Bewahrung. Von Unikaten wie Zylindern oder Aufnahmeplatten wurden ebenfalls mindestens zwei Kopien auf Magnetband hergestellt, eine zum Gebrauch, eine zweite zur Bewahrung. Diese Strategie muss so lange beibehalten werden, bis von allen Beständen Digitalisate für die Langzeitbewahrung hergestellt werden können (IASA-TC 04). In Sammlungen, die noch nicht vollständig digitalisiert werden konnten, löst häufig eine dringende Nachfrage eine bevorzugte Digitalisierung aus.