Die Bewahrung audiovisueller Dokumente: Ethische Aspekte, Prinzipien und Strategien

Technisches Komitee: Standards, Praxisempfehlungen und Strategien

Die Bewahrung audiovisueller Dokumente: Ethische Aspekte, Prinzipien und Strategien (IASA-TC 03).

Herausgegeben von Will Prentice und Lars Gaustad
in Zusammenarbeit mit:
Kevin Bradley, National Library of Australia, Carl Fleischhauer, Library of Congress, Lars Gaustad, National Library of Norway and Chair of the IASA TC, Bruce Gordon, Harvard University, Will Prentice, British Library, Dietrich Schüller, Phonogrammarchiv, Tommy Sjøberg, Folkmusikens Hus

Angenommen von den Mitgliedern des Technischen Komitees der IASA.

Vierte Ausgabe, 2017

Die Zielsetzung dieses Dokuments

Mit IASA TC-03 möchte das Technische Komitee der IASA, der Internationalen Vereinigung der Schall- und audiovisuellen Archive, auf die sich ändernden Herausforderungen bei der Sicherung des audiovisuellen Erbes hinweisen, indem für dessen Erhaltung allgemeine Prinzipien und Strategien vorgeschlagen werden. Damit sollen die Aufgaben, mit denen Archive konfrontiert sind, als auch die Natur der Objekte, für die Archivare verantwortlich sind, sowie mögliche Fallstricke und Problemfelder identifiziert werden. Leserinnen und Leser werden in konzentrierter Form angeleitet, was für den Erhalt der audiovisuellen Bestände in einer unbestimmten Zukunft essentiell ist.

Dieses Dokument spricht sowohl finanziell als auch technisch verantwortliche Personen an, wobei zu hoffen ist, dass es beide Gruppen beim Auffinden von zielführenden Lösungen unterstützt. Spezifische Methoden und technische Details der Bewahrung von Schallaufnahmen behandelt IASA TC-04 “Guidelines on the Production and Preservation of Digital Audio Objects“. Für die Bewahrung von Videoaufnahmen ist IASA TC-06 “Guidelines for the Preservation of Video Recordings“ in Vorbereitung.

Die Zukunft der Langzeitbewahrung digitaler Objekte wird sehr davon abhängen, wie wir den Weg zwischen den heute und den zukünftig zu treffenden Entscheidungen bewältigen. Unsere Wahl müssen wir heute treffen, selbst wenn uns klar ist, dass die zukünftigen technischen Entwicklungen nicht notwendigerweise damit vereinbar sein werden. Keine Wahl kann letztlich endgültig sein, aber eine wohlüberlegte Entscheidung wird den Verlauf hin zu neuen Erkenntnissen mit einbeziehen.

Die vorliegende überarbeitete Version erweitert den bisherigen Horizont vor allem durch das Einbeziehen von Bewegtbilddokumenten (Film und Video) und betont die gestiegene Bedeutung dateibasierter digitaler Dokumente gegenüber den trägergebundenen1). Zwar wurde der Wortlaut dieser Version in einigen Teilen deutlich geändert, aber die zugrundeliegenden Prinzipien bleiben unverändert.

Deutsche Übersetzung: Dietrich Schüller und Kurt Deggeller, in Zusammenarbeit mit Albrecht Häfner und Nadja Wallaszkovits.

Mai 2018


1. Unter „trägergebundenen“ (engl. carrier-based) digitalen audiovisuellen Dokumenten werden jene verstanden, die an einen bestimmten Träger gebunden sind, beispielsweise eine CD, DVD oder DigiBeta- Kassette, und damit von einem spezifischen Gerät abhängig sind, das es erlaubt, auf den Inhalt zuzugreifen. Dateibasierte (engl. file-based) digitale audiovisuelle Dokumente sind als computerlesbare Dateien nicht mehr von einem bestimmten Träger oder Abspielgerät, wohl aber von einer bestimmten Software abhängig.

0. Ethische Aspekte

Dieses Dokument ist kein ethischer Kodex für alle Bereiche der audiovisuellen Archivierung. Allgemeine ethische Grundsätze für Schall- und audiovisuelle Archive (in der Folge zusammengefasst nur „audiovisuell“ benannt, außer wenn anders angegeben), werden in der IASA Special Publication 06 Ethical Principles for Sound and Audiovisual Archives behandelt.

Der Leitgedanke des Dokuments kann wie folgt zusammengefasst werden:

Bewahrungsmaßnahmen geben uns die Möglichkeit, nachfolgenden Generationen so viel Information aus unseren Beständen zu vermitteln, wie es unsere professionelle Arbeitsumgebung erlaubt. Es ist die Verantwortung eines Archivs, die Bedürfnisse seiner gegenwärtigen Benutzer zu analysieren, die Anforderungen künftiger Benutzer nach Möglichkeit abzuschätzen, und diese in Einklang mit den Rahmenbedingungen des Archivs und seinen Inhalten zu bringen.

1. Die Aufgabe audiovisueller Archive

Die Kernaufgabe eines Archivs liegt in der Gewährleistung eines nachhaltigen Zugangs zu Information. Voraussetzung dafür ist die Bewahrung der Information, die für audiovisuelle Materialien drei Bedingungen zu erfüllen hat:

  1. Bewahrung der Stabilität und optimalen Lesbarkeit der physischen Träger der Information, soweit dies möglich ist, durch die Anwendung bestmöglicher Vorgehensweisen (Best Practices). Dies gilt gleichermaßen für Information in analoger und digitaler Darstellung, seien sie trägergebunden oder dateibasiert.
  2. Erhaltung und Erneuerung der für den Zugang zur Information benötigten technischen Systeme (Wiedergabegeräte, Ersatzteile, Wiedergabe- und Migrations-Software, Expertise, etc.) in einem für die Größe der Sammlung ausreichenden Umfang.
  3. Rechtzeitige Vorsorge für den Transfer der Information auf andere, nachhaltig zugängliche dateibasierte Formate, solange der Zugriff zur originalen Information noch möglich ist. Hierbei ist sicherzustellen, dass durch Digitalisierung bzw. Umkodierung die Klang- bzw. Bildqualität sowie zugehörige weitere Informationen nicht beeinträchtigt werden.

Kommentar:

Beispiele bewährter Vorgehensweisen finden sich in IASA-TC 05, Handling and Storage of Audio and Video Carriers (2014). IASA-TC 04 Guidelines on the Production and Preservation of Digital Audio Objects (Second edition, 2009), und IASA-TC 06, Guidelines for the Preservation of Video Recordings (in Vorbereitung).

Das Kernproblem moderner audiovisueller Archivierung besteht in der Herausforderung, mittels digitalem Datenmanagement einen nachhaltigen Zugang zu dateibasierten Formaten zu gewährleisten (siehe hiezu die Kapitel 12 und 13).

Technischer Fortschritt ermöglicht es bisweilen, dass mit modernen analogen Wiedergabegeräten von den Trägern mehr Audioinformationen ausgelesen werden können, als dies zur Zeit der Herstellung der Aufnahme möglich war. Das ist derzeit bei Videoaufnahmen nicht der Fall, weil die Träger viel mehr an die originalen Gerätschaften gebunden sind. Moderne Wiedergabetechniken könnten allerdings die Wiedergabe analoger Videoaufnahmen noch verbessern.

Aus verschiedenen Gründen sind manche Bestände oder Neuzugänge audiovisueller Archivmaterialien keine Originale, sondern Kopien. Hinsichtlich ihrer Bewahrung und Digitalisierung sollten sie wie Originale behandelt werden, außer es können frühere Generationen oder aus sonstigen Gründen bessere Kopien durch Kooperation mit anderen Sammlungen gefunden werden.

Obwohl Aufbau und Management von Sammlungen nicht Themen dieses Dokuments sind, gibt es ethische und strategische Aspekte im Verhältnis zwischen den Archiven und ihren potentiellen Benutzern, die hier angesprochen werden sollen: Die technische Entwicklung demokratisiert zunehmend die Herstellung audiovisueller Aufnahmen und damit steigt auch die Anzahl der Formate, die zu ihrer Herstellung benutzt werden. Viele dieser Materialien könnten in der Folge einen legitimen Platz in Archiven finden. Aufgrund der noch zu erörternden Umstände hat aber das Format, in dem die Aufnahme gemacht oder hinterlegt wird, einen entscheidenden Einfluss auf die spätere Benutzbarkeit und die Bewahrung. Es ist daher wichtig, Herstellern potentieller Archivbestände – professionellen Produzenten ebenso wie einer breiteren Öffentlichkeit – die Folgen bewusst zu machen, die die Verwendung datenreduzierender Formate, proprietärer Kodierungen und anderer qualitätsbeeinträchtigender Verfahren mit sich bringt (siehe Kapitel 10 und 11).

2. Primäre und sekundäre Information

Jedes Archivdokument setzt sich aus unterschiedlichen Kategorien von Information zusammen, wovon einige als primäre Information angesehen werden können. Diese betreffen zweifellos den hörbaren bzw. sichtbaren Inhalt, also das Audio- bzw. Videosignal. Andere Informationen können als sekundär bezeichnet werden, sofern sie eine kontextuelle oder unterstützende Funktion hinsichtlich der primären Information haben. Dazu zählen Informationen über den Inhalt (z. B. eine Aufschrift auf dem Träger), Information über den Träger selbst oder, im Fall von Video, ein im Videosignal eingebetteter Timecode.

Beide, primäre und sekundäre Information, sind Teil des audiovisuellen Dokuments, sei es trägergebunden oder dateibasiert. Die relative Bedeutung der beiden variiert in Abhängigkeit von Inhalt und Trägertyp, sowie dem Interesse der gegenwärtigen wie auch der zukünftigen Benutzer. Sekundäre Information wird zum wesentlichen Faktor insbesondere bei der Bestimmung der Authentizität primärer Information, nachdem der Inhalt vom Original auf einen anderen Träger kopiert wurde, aber auch als Quelle für anderweitige Untersuchungen. Sekundäre Information kann sowohl Teil original dateibasierter Dokumente wie auch Teil physischer Träger sein. Wenn dateibasierte Inhalte in neue Formate migriert werden, oder trägergebundene Inhalte in dateibasierte Formate, muss das Augenmerk auf die Erhaltung der sekundären Informationen gelegt werden. Eine minimale Kombination von primärer und sekundärer Information ist zur nachhaltigen Bewahrung der Essenz eines Dokuments unerlässlich, und es ist die Pflicht eines Archivs, diese Kombination ausdrücklich zu definieren. Hierzu bedarf es einer sorgfältigen Analyse der aktuellen wie auch der potentiellen Benutzung in Verbindung mit den ethischen, rechtlichen bzw. sonstigen institutionellen Verpflichtungen.

Kommentar:

Jegliche Arten von Metadaten können als sekundäre Information aufgefasst werden, einschließlich maschinensteuernde Daten wie zum Beilspiel DVD-Menüs oder Videospiel-Steuerungen.

In der Beschreibung von Videodokumenten werden oft die Begriffe „ancillary“ oder „associated“ data verwendet, was sich mit Hilfs- und zugeordneten Daten übersetzen lässt um etwa Timecode, Titel und Unterschriften oder andere Informationen zu bezeichnen, die nicht unmittelbar den Ton oder das Bild betreffen.

In vielen Fällen sind physische Träger kulturelle Objekte sui generis geworden, z.B. massenvervielfältigte Schallplatten, wobei der wissenschaftliche und kulturelle Wert von Plattenhüllen und Etiketten beachtet werden muss.

Timecodes von Videodokumenten können für Forscher von besonderem Interesse sein, weil sie Aufschluss über die Montage des Films geben.

Bei der Digitalisierung von Film ist es zum Nachweis der Authentizität wichtig, außerhalb der Essenz liegende aufgenommene oder geschriebene Informationen (z.B. Vor- und Abspann) ebenfalls festzuhalten, einschließlich der Abmessungen der Perforation, entweder als Teil der Sicherheitskopie, zumindest aber in Form vom Metadaten.

3. Instabilität und Verletzbarkeit von audiovisuellen Trägern

Für traditionelle auf Papier wie auch auf fotochemischen Trägern aufgezeichnete Dokumente ist, mit einigen Ausnahmen, die langfristige Bewahrung der Originale im Allgemeinen möglich. Gedruckte bzw. handgeschriebene Texte ebenso wie Dokumente auf fotochemischer Basis können auch in beschädigtem Zustand lesbar bleiben, während hingegen jede Verletzung der Integrität elektronisch aufgezeichneter audiovisueller Dokumente mit ihrer kontinuierlichen, zeitabhängigen Natur zu Informationsverlusten führt.

Zusätzlich sind audiovisuelle Träger im Allgemeinen empfindlicher als herkömmliche Textdokumente gegenüber Beschädigungen durch unsachgemäße Behandlung, schlecht gewartete Wiedergabemaschinen oder unzulängliche Lagerung. Viele audiovisuelle Träger, besonders magnetische Aufnahmen, laminierte Direktschnittfolien und Nitrofilm haben relativ kurze Lebenserwartungen als Folge ihrer physischen Beschaffenheit. Während Schrift einen hohen Grad von Redundanz aufweist, die Textdokumente auch in beschädigter Form oft lesbar erhält, repräsentieren audiovisuelle Dokumente physikalische Zustände bzw. Abläufe: ihre Redundanz ist gering, zumal jedes Detail potentiell Information darstellt und bewahrt werden muss, was höchstmögliche Anforderungen an die Erhaltung der Integrität der Träger stellt.

Diese Gegebenheiten haben zur Entwicklung eines weiten Spektrums bewährter Praktiken für die Lagerung und Reinigung der Träger, sowie den Transfer ihrer Inhalte in dateibasierte Formate geführt. Die Konservierung der Träger wird im Detail im IASA-TC 05 beschrieben: Handling and Storage of Audio and Video Carriers.

Aufgrund der hohen Datendichte der Information sind digitale Träger im Allgemeinen empfindlicher gegen den Verlust von Daten durch Beschädigungen als analoge. Die Lebenserwartung von Speichermedien spielt besonders im Zusammenhang mit computer- gestützten Speicher- und Datenmanagement-Systemen eine wichtige Rolle: Ihre praktische Lebenszeit ist kurz – drei bis zehn Jahre, aufgrund des Zusammenwirkens der Obsoleszenzen von Systemen und Speichermedien, aber auch durch das mit der hohen Datendichte der Speichermedien verbundene Risiko.

Kommentar:

Hohe Datendichte und das damit verbundene Risiko eines Datenverlustes ist besonders bei digitalen Videoträgern der Fall, die Metal Evaporated (ME) Bänder verwenden.

Der Grad der Gefährdung eines Trägers hängt von seiner Empfindlichkeit gegenüber Alterung bzw. Beschädigung ab. Er hängt aber auch von den Bedingungen ab, unter denen er gelagert wurde, von der Qualität und dem Erhaltungszustand der Wiedergabegeräte, sowie vom professionellen Geschick des Bedienungspersonals.

Fehler bei digitalen Trägern können ohne Vorwarnung auftreten und ohne vorangegangene hörbare oder sichtbare Zeichen einer graduellen Verschlechterung, wie sie üblicherweise bei analogen Trägen auftritt. Eine Beschädigung der logischen Struktur eines digitalen Trägers kann überdies den Inhalt unlesbar machen.

4. Obsoleszenz der Formate

Kein Format, ob trägergebunden oder in Form einer Datei, wird unbegrenzt abspielbar sein, und für einige ist das Ende bereits erreicht. Seit den 1990er Jahren hat es eine deutliche Abkehr von trägergebundenen Formaten gegeben, die den Inhalt in Abhängigkeit von ihren physischen Eigenschaften gespeichert haben, hin zu Dateiformaten, die die Inhalte als Daten in einer Computerumgebung bewahren. Die vom Markt bestimmte Obsoleszenz zwingt uns zur Kenntnis zu nehmen, dass die Möglichkeit, trägergebundene Inhalte digital zu bewahren, zeitlich begrenzt ist. Jenseits eines bestimmten Punktes wird die Erhaltung obsoleter Wiedergabesysteme nicht mehr leistbar sind, wodurch der Zugang zu den Inhalten dieser Träger unmöglich wird.

Der Zeitraum für die Umformatierung trägergebundener Inhalte kann allenfalls durch folgende Maßnahmen etwas verlängert werden: Durch sorgfältige Aufbewahrung von Geräten, Ersatzteilen, Serviceanleitungen und anderem Zubehör, dessen Herstellung bereits eingestellt wurde, oder knapp davorsteht, sowie durch die sorgfältige Erhaltung von Service- und Bedienungskenntnissen. Erfolge sind formatabhängig, zeitlich letztlich aber jedenfalls begrenzt. Seit 2016 herrscht unter den audiovisuellen Archiven weltweit Übereinstimmung, dass nur mehr 10 - 15 Jahre zur Verfügung stehen, innerhalb derer alle trägergebundenen Inhalte auf Magnetbändern überspielt werden können. Tatsächlich ist bereits für einige magnetische Formate, wie zum Beilspiel das Videoformat MII, die Wiedergabe des Signals praktisch unmöglich. Daher wird etwa um 2030 die Digitalisierung selbst der meist verbreiteten magnetischen Formate jenseits der Möglichkeiten der meisten Archive liegen. Für andere Formate mag diese Zeitspanne länger oder kürzer sein.

Auch wenn Inhalte in Form von Dateien bewahrt werden, stellen Obsoleszenz der physischen Träger, des Betriebssystems oder der Container eine Bedrohung dar, sowohl für die aufgezeichneten Daten selbst wie für ihre sinnhafte Interpretation. Da dies allerdings ein gemeinsames Problem des gesamten IT-Bereichs darstellt, ist es leichter zu beherrschen als bei trägergebundenen audiovisuellen Formaten, die von einem Konsummarkt abhängig sind.

5. Bewahrung der Information

a. Durch Konservierung der Träger:

Obwohl die Lebenszeit der meisten audiovisuellen Trägermaterialien nicht unbegrenzt verlängert werden kann, müssen dennoch alle Maßnahmen ergriffen werden, die Träger solange in brauchbarem Zustand zu erhalten, wie dies möglich ist.

Konservierung erfordert die Lagerung in einer geeigneten Umgebung unter Trennung von primären und sekundären Informationsquellen, wo notwendig und möglich, sowie, nach Bedarf, die Durchführung von regelmäßigen Erhaltungs- und Reinigungsmaßnahmen. Die Bewahrung beinhaltet die Überprüfung von Testsignalen auf analogen Trägern, sofern verfügbar, sowie der Datenintegrität auf digitalen Trägern. Zusätzlich müssen die Wiedergabegeräte den physischen Eigenschaften ihrer jeweiligen Träger angepasst sein. Konservierung schließt die Minimierung des Gebrauchs von Originalen bzw. Archivkopien unter Herstellung von Benutzerkopien ein.

b. Durch fortgesetztes Kopieren der Information:

Da die Lebenserwartung der Träger sowie die Verfügbarkeit von Abspielgeräten beschränkt sind, kann eine Langzeitbewahrung der Dokumente nur erzielt werden, indem die Inhalte auf neue Träger bzw. Systeme kopiert werden, so lange dies noch möglich ist.

Im analogen Bereich unterliegt die primäre Information bei jedem Kopiervorgang einer Verschlechterung der Signalqualität. Nur die digitale Signaldarstellung ermöglicht, sofern sachgerecht durchgeführt, verlustfreies Kopieren (vgl. Kapitel 12). Die langfristige Bewahrung der primären Information eines analogen Trägers bedarf daher zunächst eines Transfers dieser Information in die digitale Domäne.

Die Loslösung der primären Information von ihrem originalen Träger wirft die Frage der Authentizität des audiovisuellen Inhalts auf. Zukünftige Benutzer werden aus Gründen, die in diesem Dokument erläutert werden, oft nur Zugang zur Primärinformation eines Dokuments in Form einer Kopie in einem Dateiformat haben. Daher steigt die Bedeutung adäquater sekundärer Informationen, die, sofern sie auf Bandschachteln, Plattenumschlägen oder Etiketten sichtbar aufscheinen, am besten als Bilddateien nach anerkannten Archivstandards festgehalten werden sollen. Andere Formen sekundärer Information, z.B. die Beschreibung des Originalformats, sind als technische Metadaten festzuhalten (siehe Kapitel 14). Archive müssen also in systematischer Weise die relevanten Sekundärinformationen eines Originaldokuments festhalten und diese Informationen zusammen mit der Primärinformation zugänglich erhalten. Nur dadurch haben künftige Benutzer Gewissheit hinsichtlich der Authentizität eines Dokuments.

6. Auswahl der besten Kopie und Vorbereitung des Trägers

Ein Archiv kann mehrere Kopien der gleichen Inhalte besitzen, insbesondere im Fall kommerzieller Schallaufnahmen oder Filmen. In solchen Fällen soll das qualitativ beste Exemplar zur Überspielung des Inhalts herangezogen werden.

Sind in einem Archiv oder Produktionsunternehmen Video- und Tonaufnahmen auf Magnetband oder in Dateiformat in Versionen zu verschiedenen Zwecken vorhanden, z.B. Master- und Vertriebskopien, muss die für die Reformatierung am besten geeignete Kopie ausgewählt werden. Zusätzlich können vorsichtige und adäquate Reinigungsund Restaurierungsmaßnahmen der Träger zur Optimierung der Signalwiedergabe notwendig sein.

Kommentar:

Bei massenvervielfältigten Trägern - insbesondere bei mechanischen und optischen Trägern - können verschiedene Kopien beträchtliche Unterschiede hinsichtlich ihrer Wiedergabequalität aufweisen, die von früheren Behandlungs- und Lagerbedingungen abhängen. Es ist daher angebracht, die Suche nach besterhaltenen Kopien auch auf andere Sammlungen, sowohl national wie auch international, auszudehnen (siehe Kapitel 16).

Archivbestände im engeren Sinn, also nicht-vervielfältigte Aufnahmen, sind oft in zwei oder mehreren Versionen verfügbar, etwa einem Original (Band, Kassette, Film) und einem Archivmaster, der eine Kopie des Originals darstellt. Während Archivmaster oder jüngere Datenträger im Allgemeinen einen besseren Erhaltungsgrad aufweisen, kann ihr Signal auf Grund einer minderen Übertragungsqualität bzw. den unausweichlichen Verlusten beim analogen Kopiervorgang schlechter sein. Daher muss die Signalqualität der verschiedenen vorhandenen Kopien miteinander verglichen werden. Sachgerechte Reinigungs- und Restaurierungsmaßnahmen können die Signalwiedergabe signifikant verbessern. Bei der Wahl der Maßnahmen muss aber mit größter Vorsicht ein Kompromiss zwischen der Verbesserung der Signalqualität im Vergleich zur möglichen weiteren Schädigung fragiler oder bereits geschädigter Träger gefunden werden. Es ist gute Praxis, die Benutzung der Originale stets auf ein Minimum zu beschränken.

Stark geschädigte Träger können beim Versuch der Wiedergabe auch vollständig zerstört werden. In solchen Fällen muss sorgfältig die Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung bei sofortiger Überspielung gegenüber einer späteren mit einem möglichweise weniger riskanten Verfahren abgewogen werden.

7. Optimale Signalextraktion von den originalen Trägern

Eine optimale Extraktion eines analogen Signals mit einem Minimum an Wiedergabeverzerrungen kann nur mittels moderner, gut gewarteter Wiedergabemaschinen erzielt werden, die idealerweise der letzten Generation angehören. Bei historischen Trägern, müssen die Wiedergabeparameter (Geschwindigkeit, Entzerrung, Spurformat, Type der Timebase-Korrektur, etc,) objektiv auf der Basis der Kenntnis des vorliegenden Formats festgestellt werden.

Bestimmte Justierungen der Wiedergabegeräte können notwendig werden, um die Signalabnahme der Charakteristik der Aufnahme des abzuspielenden Trägers anzupassen und damit die Signalqualität zu optimieren. So ist beispielsweise ein Azimutfehler bei analogen Magnetbandaufnahmen verbreitet, der nur während der Wiedergabe des Originals im Zuge der Digitalisierung behoben werden kann. Ebenso muss der durch Lagerung eingetretene Kopiereffekt unmittelbar vor der Signalübertragung minimiert werden. Darüber hinaus können andere kleine Ungenauigkeiten der Bandführung bei der Aufnahme von Originalen zu erheblichem und vermeidbarem Anstieg von Fehlern führen.

Für Video werden bestimmte Typen von Dropouts am besten im Zuge der Übertragung kompensiert. Bei der Übertragung von Film können manche Formen von Kratzern am besten durch ein flüssiges Bad im Filmprinter während der Übertragung entfernt oder vermindert werden. Beim digitalen Scannen kann der Einsatz spezieller diffuser Lichtquellen denselben Effekt erziele

Zur Verringerung der potentiellen Gefahr einer Beschädigung der Originale ist die regelmäßige Instandhaltung der Wiedergabegeräte nach professionellen Standards zu gewährleisten. Zu diesem Zweck und zur Überprüfung aufkommender Probleme sind geeignete Kalibriermedien (Testplatten, Testbänder) für die eingesetzten Wiedergabegeräte einzusetzen, soweit diese noch erhältlich sind.

Bei digitalen trägergebundenen Formaten können verschiedene Abspielgeräte die Daten in verschiedener Weise auslesen, die nicht alle den zu übertragenden Datenstrom erfolgreich darstellen. Um solche Probleme zu entdecken und zu bewerten sind Fehlerüberwachungen sowohl bei Real-time-Wiedergabe als auch bei Übertragung mit erhöhter Geschwindigkeit (“data ripping“) unerlässlich. Unkorrigierbare Fehler, die auf die Digitalkopie übertragen wurden, müssen dokumentiert werden.

Digitale trägergebundene Formate können verschiedene Subcode-Informationen tragen, das sind Sekundärinformationen, die parallel zur Primärinformation in den Datenstrom geschrieben sind. Inkompatibilitäten zwischen Aufnahme- und Wiedergabegeräten können zu ungenauer bzw. gar keiner Wiedergabe dieser Daten führen. Es ist wesentlich, die Formateigenschaften einschließlich allfälliger Subcode-Informationen zu kennen und das Mindestmaß an Primär und Sekundärinformationen schon vor der Digitalisierung festzulegen (siehe Kapitel 2).

Es ist nicht einfach, die richtigen Wiedergabeparameter für ein vorliegendes analoges audiovisuelles Dokument festzustellen, wenn eine objektive Information über diese Parameter fehlt. Wie in anderen Bereichen historischer Forschung ist auch hier die Verwendung von vorsichtig gewählten Annäherungen zulässig. Prinzipiell müssen jedoch alle Entscheidungen dokumentiert und irreversible Schritte vermieden werden. Alle nicht notwendigen subjektiven Überarbeitungen dürfen nur an Benutzerkopien vorgenommen werden.

Kommentar:

Inadäquate Signalextraktion von originalen Dokumenten resultiert oft aus einem Mangel an professionellen Kenntnissen bzw. dem Einsatz mindergeeigneter Geräte. Die Bedeutung der Erfahrung und des Geschicks des Personals, das die Überspielung vornimmt, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, ebenso wie die Verfügbarkeit von professionellen Geräten. Die Übertragung optischer Tonspuren von Filmen ist beispielsweise sehr herausfordernd und bedarf hochspezialisierter Geräte.

In einigen Fällen kann es vorteilhaft sein, mehrstufige Verfahren zur Wahl der Wiedergabeparameter zu wählen. Dies kann z.B. in der Herstellung von Archivmastern ohne Entzerrung bestehen, wobei die Entzerrungen nur für die Benutzerkopien eingeführt werden, oder durch eine Software erst im Falle der Benutzung.

Wenn beispielsweise für Filme “one light transfers“ angebracht erscheinen, sollte das RGB Signal so justiert werden, dass die maximale Farbinformation für jeden Kanal erreicht wird, damit eine Korrektur des Farbverlustes ohne Verzerrungen (clipping) erzielbar ist.

Best Practices für den Transfer von Filmen sind noch in Entwicklung, wobei die Academy of Motion Picture Arts and Sciences (AMPAS) und die Society for Motion Picture and Television Engineers (SMPTE) eine Vorreiterrolle spielen. Diese Bemühungen werden zu standardisierten Methoden führen, die einen besonderen Einfluss auf das Erfassen der Farbtöne und ihrer Varianten im originalen Film haben werden. Allerdings sind Systeme, die diese neuen Entwicklungen bereits einsetzen, nicht weit verbreitet und werden in Gedächtnisinstitutionen noch nicht angewendet.

Die systematische Erfassung von Subcode-Informationen auf digitalen trägergebundenen Formaten als Methode zur Bewahrung relevanter Sekundärinformation wird immer noch weithin vernachlässigt. Dies ist die Folge von Inkompatibilitäten der Subcode-Formate zwischen Geräten und Schnittstellen. Bis jetzt haben sich, wenn überhaupt, nur wenige Standards zur weiteren Bewahrung dieser Informationen in einer dateibasierten Umgebung durchgesetzt. Kompatibilitätsprobleme werden oft auch bei der Wiedergabe einmal bzw. mehrmals bespielbarer optischer Platten festgestellt.

Die in diesem Kapitel beschriebenen Prinzipien gelten für Primärinformationen in Form von Dokumentaraufnahmen, einschließlich von Dokumenten künstlerischer Aufführungen oder sonstigen Formen aktueller Ereignisse. Wo allerdings Primärinformationen Kunstobjekte oder Teile davon sind (wie etwa bei Skulpturen oder Installationen mit audiovisuellen Komponenten), kann als zusätzliche ethische Verpflichtung die Bewahrung der ursprünglichen Wiedergabeverzerrungen hinzutreten, um den Intentionen des Künstlers gerecht zu werden. Die Absichten und Möglichkeiten bei der Schöpfung des Originals sind daher bei der Wahl der Übertragungsparameter von Kunstobjekten zu berücksichtigen.

8. Unmodifizierte Übertragung auf ein neues Zielformat

Es ist verpflichtend, bei Übertragungen von alten in neue Archivformate stets die Herstellung der genauest möglichen Replika anzustreben. Vor allem müssen subjektive Veränderungen oder „Verbesserungen“, wie zum Beispiel Entrauschen von Tönen und Bildern vermieden werden. Subjektive Veränderungen verfälschen das historische Dokument nach der Perspektive der Ausführenden und unterminieren damit die grundsätzlichsten Prinzipien der Bewahrung.

Das vom ursprünglich Aufnehmenden intendierte Signal ist nur ein Teil eines audiovisuellen Dokuments. Unbeabsichtigte und unerwünschte Artefakte (Rauschen, Verzerrungen) sind ebenso Teile des Dokuments, die entweder durch die beschränkte historische Aufnahmetechnik entstanden sind oder später dem Originalsignal durch schlechte Behandlung (z.B. Klicks) oder schlechte Lagerung hinzugefügt wurden.

In manchen Fällen können offenkundige Fehler einer Aufnahme objektiv im Zug der Digitalisierung korrigiert werden, indem die Parameter optimal auf die Wiedergabe des intendierten Signals eingestellt werden (siehe Kapitel 7). Ganz allgemein sollten jedoch sowohl das Signal als auch die Artefakte mit größtmöglicher Genauigkeit bewahrt werden. Wesentlich ist auch die Bewahrung des vollen Dynamikumfangs sowie des Frequenzbereiches bzw. der Bildauflösung der Originale.

Essentiell ist gleichermaßen die sorgfältige Dokumentation aller für den Transfer gewählten Maßnahmen und ihrer Parameter

Kommentar:

In manchen Fällen sind Veränderungen beim Transfer von alten zu neuen Formaten unvermeidbar, zum Beispiel bei der Wandlung eines analogen Komposit-Videosignals in ein digitales Farbdifferenz-Signal.

9. Bewahrung der Träger und der Wiedergabesysteme nach dem Transfer

Die weitere technische Entwicklung wird mögliche Verbesserungen bei der Informationswiedergabe von physischen audiovisuellen Datenträger mit sich bringen. Zusätzlich könnten Forschungen und neue Methoden zur Identifizierung zusätzlicher in Originalträgern enthaltener Sekundärinformationen führen.

Angesichts solcher möglichen Verbesserungen beim Auslesen von Information können Transfers von Primär-. und Sekundärinformationen von trägergebundenen Formaten nicht notwendigerweise als endgültig angesehen werden. Daher müssen die originalen physischen Träger ebenso wie die zugehörigen Wiedergabegeräte nach der Digitalisierung der Inhalte aufbewahrt werden, wo immer dies möglich ist.

Es ist aber durchaus möglich, dass Alterung der Träger, technische Obsoleszenz, bzw. die schieren Kosten der Digitalisierung einen späteren Versuch vereiteln. Alle Transfers müssen daher mit den höchsten zu ihrer Zeit verfügbaren Standards durchgeführt werden.

Kommentar:

Originale analoge Tonträger können Sekundärinformationen enthalten, die außerhalb des Frequenzbereiches der Primärinformation liegen und bei der Korrektur von Ungenauigkeiten der Aufnahme hilfreich sein könnten. Die meisten gegenwärtigen Übertragungsroutinen führen aber zu deren unwiderruflichem Verlust. Für analoge Magnetbandaufnahmen etwa können Hinweise auf Geschwindigkeitsschwankungen („wow and flutter“) in Abweichungen der wiedergegebenen Vormagnetisierungsfrequenz, in Gleichstromspuren bzw. im Hintergrundrauschen gefunden werden. Es gibt bereits Verfahren, mit diesen Informationen die Primärinformation zu korrigieren, die Teil künftiger Übertragungsroutinen werden könnten.

Eine andere jüngere Verbesserung bei Tonübertragungen stellt die berührungslose optische Abtastung des Primärinhalts von mechanischen Tonträgern dar. Bewährte Praktiken müssen noch entwickelt werden (vgl. dazu den Kommentar zu Kapitel 10).

10. Digitale Zielformate und Genauigkeit

Wie alle Formen der digitalen Technologie sind digitale Kodierungsschemata (Formate) Gegenstand weiterer Entwicklungen. Folglich wird sich auch die Diskussion über die geeignetsten Archivierungsformate ständig weiter entwickeln. Unabhängig von den jeweils verfügbaren Möglichkeiten aber können einige Prinzipien bei der Wahl von Zielformaten angewandt werden:

  • Dateiformate bieten höhere Datensicherheit und bessere Möglichkeiten der Datenüberwachung als trägergebundene Formate, die Datenströme (DAT, Audio CD, oder Digital Betacam) beinhalten.
  • Wenn digitale trägergebundene Inhalte (z.B. von DAT oder DV Kassetten) übertragen werden, muss die resultierende Datei, sofern angemessen, das Kodierungsschema des originalen Datenstroms bewahren. Wo dies unangebracht ist, z.B. bei verlustbehafteten oder proprietären Schemata (siehe Kapitel 11), sollte ein Schema gewählt werden, das die Integrität des Originals bewahrt.
  • Eine wesentliche Voraussetzung für alle Archiv-Dateiformate besteht in der Forderung, dass die für Bewahrungszwecke verwendeten Kodierungsschemata offen definiert und nicht proprietär oder von einer beschränkten Zahl von Anbietern abhängig sind.
  • Wo es nur wenig oder gar keine Übereinstimmung innerhalb der Archivgemeinschaft bezüglich der Wahl eines Formats für einen bestimmten Zweck gibt, sind Archive angehalten, solche Formate zu wählen, für die sie selbst mit relativer Sicherheit für nachhaltige Unterstützung sorgen können. Das setzt genügende Mittel, ausreichende Expertise, sowie auch fortgesetzte weitere Industrieunterstützung für das Format voraus.
  • Das Archiv muss gewährleisten, dass das gewählte Format imstande ist, die mindesterforderliche Kombination von Primär- und Sekundärinformation zu erhalten.

Kommentar:

Archivmaster werden im Allgemeinen im Zielformat in einer einzigen Datei gehalten, in dem ein Container die primäre Ton- bzw. Ton- und Bildinformation trägt, zusammen mit Sekundärinformationen wie Titel, Untertitel, Timecode und anderen Hilfsdaten. In einigen Fällen aber werden die Sekundärinformationen in sogenannten „Sidecar“-Files (Filialdateien) gehalten. Ein solches Vorgehen ist nicht ungewöhnlich für Titel und Untertitel und kann für gleichförmigsystematische Materialien wie z. B. Schallplatten-Labels angewandt werden.

Für Schallaufnahmen ist das Broadcast WAVE Format (BWF) de-facto-Standard geworden. Dieses Format wird offiziell vom IASA Technischen Committee empfohlen (siehe IASA-TC 04, 6.1.2.1). Broadcast WAVE Files können, wie alle WAVE Dateien, 4 GB nicht überschreiten und sind auf Mono- bzw. Zweikanal Stereo-Aufnahmen beschränkt. Zur Bewältigung größerer Datenmengen bzw. Mehrkanalaufnahmen hat die EBU das RF 64 BWF File für eine maximale Größe von rund 16 Exabyte und bis zu 18 Kanälen definiert.

Zur Digitalisierung originaler analoger Schallaufnahmen empfiehlt die IASA eine digitale Mindestauflösung von 48 kHz Abtastrate mit einer Wortlänge von 24 bit. Gedächtnisinstitutionen verwenden verbreitet eine Auflösung 96 kHz / 24 bit. Die Übertragung von unerwünschten Teilen eines Tondokuments (vgl. Kapitel 8) in höherer Auflösung wird die Entfernung dieser Artefakte bei der späteren Herstellung einer Benutzerkopie erleichtern. Wegen des transienten Charakters der Konsonanten sind Sprachaufnahmen Musikaufnahmen gleichzustellen.

Wenn Primärinformationen auf Platten oder Zylindern berührungslos mittels optischer Abtastung abgelesen werden, sollen diese Abtastdaten selbst das Hauptelement der Archiv-Masterdatei bilden, und nicht ein von dieser abgeleiteter konventioneller Audio-Datenstrom.

In Gedächtnisinstitutionen sind Zielformate für Archiv-Masterdateien für Bewegtbilder derzeit in einer frühen Einführungsphase. Für Video haben einige Institutionen eine Variante des von der SMPTE standardisierten MXF Containers mit einer Bilddarstellung in verlustlos-komprimierter JPEG 2000 Kodierung eingeführt. Mittlerweile sind andere Institutionen mit der verlustlosen FFV1 Kodierung vorangeschritten, wobei das Bildsignal und die begleitenden Tonspuren in Containern wie Quick Time, Matroska, oder AVI eingebettet sind.

Das von Gedächtnisinstitutionen meist gewählte Zielformat beim Scannen von Film ist das von SMPTE standardisierte DPX-Format. Gleichzeitig erproben einige Archive Verfahren, die den Transport von Synchronton- und Bildsignalen im gleichen Container und/oder die Einbettung zusätzlicher Farbinformationen erlauben. Diese Erkundungen bedingen die Umformatierung der ursprünglich hergestellten DPX Bildsignale (und Tonspuren) in Archiv- Dateien wie sie für Video verwendet werden, z. B. verlustloses JPEPG 2000 in MFX oder FFV1 in einem Quick Time bzw. Matroska Container.

Unter Umständen kann die Migration audiovisueller Inhalte auch unpraktikabel sein, zum Beispiel aufgrund besonderer integraler Eigenschaften, wie man sie in Videospielen findet, oder als Folge von Kopierschutz. Zukünftige Verfügbarkeit wird daher von der Emulation der ursprünglichen Betriebssysteme bzw. der Anwendungssoftware abhängen.

Archive können Materialien in Dateiformaten erhalten, deren Umkodierung in Archivformate eine irreversible Veränderung der Darstellung des Inhalts mit sich brächte. In solchen Fällen müssen Authentizität und die Aussicht auf bessere Transkodierungs-Methoden in Betracht gezogen werden. Das Archiv kann sich für das Aufheben der ursprünglich akquirierten Dateien entscheiden, zusammen mi der transkodierten Version, die eine bessere Chance hat, langfristig wiedergegeben werden zu können, oder einfach die Transkodierung durchzuführen, die neuen Kopien zu behalten und das Original auszuscheiden. Diese letzte Option könnte besonders Grenzfälle betreffen wie zum Beispiel Videoclips, die im Zug eines Web-Harvesting Projektes gewonnen wurden.

Auf sehr lange Sicht scheint die künftige Migration von allen Formaten unausweichlich. Daher muss ein Archiv wenn immer möglich bestrebt sein sicherzustellen, dass bei zukünftigen Migrationen von jedem gewählten Format aus alle Informationen gleichermaßen bewahrt werden.

11. Datenkompression und Datenreduktion

Zur Langzeitarchivierung sollen keine Formate zur Kodierung originaler analoger oder linearer digitaler Aufnahmen verwendet werden, die Datenreduktion (oft inkorrekt „Datenkompression“ genannt) einsetzen. Solche verlustbehafteten perzeptuellen Kodierungen („lossy“ codecs) verursachen einen unwiederbringlichen Verlust von Teilen der Primärinformation. Die Ergebnisse einer solchen Datenreduktion mögen zwar gleich oder ähnlich klingen oder ausschauen, wie das unreduzierte, lineare Signal, aber der weitere Gebrauch des datenreduzierten Signals wird vielfach eine Verschlechterung des Primärinhalts nach sich ziehen.

Während es im Prinzip keine Bedenken gegen die Verwendung von verlustloser, (voll reversibler) Kompression gibt, müssen alle Einsparungen an Speicherkosten gegen das erhöhte Risiko abgewogen werden, dass in Zukunft die Werkzeuge zur Dekodierung der Files nicht mehr existieren oder nur mehr unzulänglich unterstützt werden. Sowohl verlustbehaftete, wie auch verlustlose Datenkompressionsverfahren produzieren Datenströme, die für kleinere Lesefehler wesentlich anfälliger sind als linear kodierte, weshalb die Inhalte solch komprimierter Datenströme viel mehr Datenfehlern ausgesetzt sind als sie es in linearer Kodierungen wären.

Dieses archivalische Prinzip sollte, wenn immer möglich, auch bereits auf die Herstellung von Originalaufnahmen angewandt werden, die für eine Archivierung vorgesehen sind.

Wenn jedoch bereits datenreduziert aufgenommene Inhalte in ein Archiv kommen, müssen sie getreu bewahrt werden, wie sie sind.

Kommentar:

Datenreduktion ist ein wichtiges Instrument bei der Verbreitung von audiovisuellen Inhalten. Ihre Anwendung bei der Archivierung verstößt jedoch gegen das ethische Prinzip der möglichst vollständigen Bewahrung der Primärinformation. Datenreduktion erlaubt nicht die Wiedergewinnung des originalen Signals und schränkt überdies die weitere Verwendung der Aufnahmen durch das Entstehen von Artefakten beim wiederholten Kopieren (Kaskadieren) ein, z.B. bei der Zusammenstellung eines neuen Programms aus originalen Tönen und Bildern.

Wegen der für die Speicherung digitaler Videosignale benötigten erheblichen Datenmengen, war und ist noch immer der Gebrauch datenreduzierender Produktionsformate weit verbreitet. Idealerweise sollten nicht-linear kodierte Dateien in ihrer originalen Form aufbewahrt werden. Ein großes Problem kann jedoch auftreten, wenn das Ursprungsformat proprietären Charakter hat, wie etwa die MiniDisc oder DVCAM (siehe IASA-TC 04, 5.5.12.1; IASA-TC 06). Abhängig von der digitalen Archivpolitik kann die Primärinformation solcher Aufnahmen entweder logisch in ein archivtaugliches Format migriert, oder die Kodierung so behalten werden, wie sie ist.

12. Datenmanagement: Archivierungsprinzipien in einer dateibasierten Umgebung

Die Kernaufgabe einer dateibasierten Archivierung besteht in der „Bitpreservation“ (Bitstream Preservation), das heißt in der Summe von Maßnahmen zur Erhaltung des originalen Bitstreams, die das verantwortliche Institut zu organisieren hat.

Aktionen jenseits von „Bitpreservation“ werden dann notwendig, wenn die Formatierung der Inhalte obsolet zu werden droht. Die gewöhnliche Maßnahme wird dann Formatmigration sein, obwohl (wie im Kapitel 10, Kommentar, erwähnt) es Umstände geben könnte, in denen Emulation erforderlich ist. Während Entscheidungen über „Bitpreservation“ den IT- Spezialisten und geeigneten Softwareund Hardware-Anwendungen überlassen werden können, werden Maßnahmen jenseits von „Bitpreservation“ die Mitwirkung von Mitarbeitern mit archivarischer Erfahrung erfordern. Gefragt sind die Berücksichtigung des grundsätzlichen Charakters der Inhalte, die Zusammensetzung der Benutzergemeinschaft sowie die Beurteilung der Formatobsoleszenz einschließlich der Optionen neuer Formate.

Das Datenmanagement hat folgende Kernprinzipien zu berücksichtigen

  • Dateien werden im Allgemeinen durch Kopieren in Speichersystemen abgelegt. Dieser Prozess muss nachweisbar identische Duplikate produzieren. Die Überprüfung der Datenintegrität kann mit Hilfe einer vorangegangenen Erstellung einer Prüfsumme erzielt werden. Die Überprüfung („Verifikation“) sollte jeweils unmittelbar nach Herstellung einer Kopie stattfinden, idealerweise in automatisierter Form.
  • Die weitere Überprüfung dateibasierter Inhalte muss in regelmäßigen Abständen erfolgen, um sicherzustellen, dass das, was aufgeschrieben wurde, fehlerfrei und ohne Änderungen gelesen werden kann.
  • Abhängig vom originalen Dateiformat kann jedoch eine Transkodierung in ein neues Zielformat bisweilen eher angebracht sein als eine einfache Kopie im selben Format (siehe Kapitel 10 und 11). Diesen Prozess nennt man Formatmigration.
  • Digitale Inhalte, ob träger- oder dateibasiert, müssen auf neue Träger kopiert werden bevor unkorrigierbare Fehler auftreten. Ist das ursprüngliche und das Zielformat das gleiche, spricht man von Refereshment oder Medienmigration.
  • Es ist wesentlich, mindestens zwei, idealerweise noch mehr digitale Archivkopien und je nach Bedarf weitere, für den Gebrauch bestimmte Kopien zu speichern. Die Archivkopien sollten wo immer möglich an zwei verschiedenen geographischen Orten aufbewahrt werden. Zusätzliche Sicherheit kann durch die Verwendung verschiedener Speichertechnologien für jeden Kopiensatz erzielt werden. Bei der Wahl der Technologien sollte bedacht werden, dass die Stärke einer Strategie stets vom ihrem schwächsten Glied bestimmt wird
  • Wenn immer möglich sollten Benutzerkopien gemacht werden. Im Gegensatz zu Archivkopien hingegen können solche für die Benutzung bzw. den Vertrieb bestimmte Kopien subjektiv in Abhängigkeit von den Bedürfnissen der Benutzer modifiziert sein. Auch Datenreduktion kann, im Einklang mit den Ansprüchen der Benutzer, eingesetzt werden. Wie für die Herstellung der Archivkopien ist auch hier die genaue technische Dokumentation der Parameter und des Vorgehens bei der Herstellung notwendig.
  • Wenn möglich, sollten die Maßnahmen zur Prüfung der Datenintegrität automatisiert werden, so wie dies mit den Geräten vertrauenswürdiger digitaler Langzeitarchive der Fall ist. Sollte dies nicht möglich sein, müssten manuelle Überprüfungen auf statistisch gesicherter Basis durchgeführt werden.

Kommentar:

Während diese Prinzipien gleichermaßen für alle Arten der dateiorientierten Bewahrung gelten, erfordern die relativ großen Dateien und die zeitabhängige Natur audiovisueller Inhalte eine sorgfältige Planung der Kapazitäten von Speicherplatz und Bandbreite.

In ihrem Kern sind diese Prinzipien dieselben wie die für die analoge Welt. Ein fundamentaler Unterschied besteht aber in der qualitativen Dimension der dateiorientierten digitalen Welt, die die objektive Beurteilung der Integrität der Aufnahmen ermöglicht. Regelmäßige Überwachung der Datenintegrität ist daher eine der zentralen Pflichten digitaler Bewahrungsroutinen. Digitale Träger und Systeme können tatsächlich ohne Vorwarnung zu jeder Zeit versagen. Die Vernetzung der Arbeit von Primärarchiven, den Nutzern und dem Sicherheitsarchiv kann die Strategie zur Verringerung der Risiken stark unterstützen.

13. Die Langzeitbewahrung der Dateien

Infrastrukturen, die die automatische Überprüfung der Datenintegrität, der Medienmigration und schließlich der Formatmigration mit einem Minimum an manueller Intervention gestatten, sind nunmehr im allgemeinen Archivgebrauch (siehe IASA-TC 04, 6.2). Zurzeit reichen sie von kleinen Systemen mit etwa 16 TB bis zu Speichern im Petabyte-Bereich. Management Software ist sowohl in Form teurer proprietärer Lösungen, als auch als Freeware verfügbar. Auch wenn für ein Archiv eine solche Lösung noch jenseits seiner Möglichkeiten liegt, so sollte die Digitalisierung nicht aufgeschoben werden, sondern die Verwendung von diskreten Datenträgern wie Datenbändern und Festplatten bei offline Lagerung und mittels manuellen Prüfungsprozeduren erwogen werden.

Verantwortliche Bewahrung digitaler Daten erfordert Systeme und technische Infrastrukturen, die Überwachung des Zustandes der Datei und die konkrete Planung für die Medien- und Formatmigration. Alle diese Themen werden ausführlich in Standards in Verbindung mit dem Referenzmodel (ISO 14721) des Open Archival Information System (OAIS) und in Dokumenten zu den Trusted Digital Repositories (Audit und Zertifizierung zuverlässiger digitaler Ablagen ISO 16363) diskutiert.

Kommentar:

Obwohl die Kosten für die Hard- und Software zur Langzeitarchivierung für viele audiovisuelle Archive erschwinglich sind, muss ein Archiv sicherstellen, dass es über die Kenntnisse verfügt, die zum Betrieb und Unterhalt eines solchen Systems notwendig sind. Bei manueller Abwicklung, im Unterschied zu automatisierter, müssen die geringeren Kosten für Hard- und Software dem erheblichen zeitlichen Mehraufwand und dessen Kosten sowie dem Risiko für die Bestände entgegengesetzt werden (siehe IASA-TC 04, 6.5).

14. Technische Metadaten

Im weitesten Sinn können die technischen Metadaten alle Informationen beinhalten, die zum nachhaltigen Zugang zu den Inhalten benötigt werden. Zusätzlich zu den technischen Bedingungen kann dies auch z. B. Informationen zur Authentifizierung eines Inhalts betreffen. In diesem breiten Sinn sollen technische Metadaten alle Details enthalten über:

  • lle Träger, auf denen die Inhalte zuvor bewahrt wurden, einschließlich deren Zustands
  • Die Wiedergabegeräte des Transfers, einschließlich aller Parameter
  • Die Aufnahmegeräte einschließlich bekannter Rendering-Software (Wiedergabeprogramme)
  • Das Zielformat, einschließlich der digitalen Auflösung
  • Das im Übertragungsprozess eingesetzte Personal
  • Die Prüfsumme - die digitale Signatur zur Authentifizierung der Datei
  • Die Details aller Quellen der Sekundärinformationen

In der Praxis werden die Metadaten oft in die Kategorien deskriptive, administrative, strukturelle und technische Metadaten unterteilt. Die technischen Metadaten in engerem Sinn sind obligatorisch für die Beurteilung der technischen Parameter einer Aufnahme und zur angemessenen Entscheidung über die zu treffenden Bewahrungsmaßnahmen. Als eine Unterkategorie der technischen Metadaten können die Angaben über die getreue Überspielung der Primärinformation als unverzichtbarer Teil des audiovisuellen Dokuments angesehen werden.

Es wird dringend empfohlen die Metadaten in einem etablierten Standard und in möglichst konsistenter Weise zu erfassen. Metadaten in maschinell verarbeitbarer Form (z.B. in XML) zu schreiben, hat zusätzlich den entscheidenden Vorteil, bestimmte Bewahrungsund Benutzungsvorgänge automatisieren zu können.

Kommentar:

Metadaten, oft „Daten über Daten“ genannt, stellen in einer digitalen Umgebung eine detaillierte und spezifische Ausweitung der Katalogisierungspraxis dar und dienen bei digitalen Beständen wesentlich der Benutzung und der Kontrolle. Ein Satz technischer Metadaten stellt jene Information dar, die zur Bewahrung digitaler Sammlungen gebraucht wird. Die technischen Metadaten werden eine Schlüsselstellung im Management jeglicher digitalen Sammlung einnehmen und müssen daher für die Unterstützung der künftigen Bewahrungsstrategien geeignet sein. Eine besondere Komponente dieser technischen Metadaten stellt die Prüfsumme dar, ein essenzielles Element für die Überwachung der Datenintegrität und zum Beweis der Authentizität. Als solches kann sie mit einem Fingerabdruck einer bestimmten Datei verglichen werden.

Die genaueste Darstellung der technischen Metadaten findet man bei PREMIS (http://www.loc.gov/standards/premis, http://www.loc.gov/standards/premis/understanding_premis_german.pdf) dem Ergebnis einer internationalen Arbeitsgruppe der Jahre 2003-2005, seither überarbeitet und aktualisiert durch die Mitglieder aus der Gruppe digitaler Bibliotheken. PREMIS ist rund um die Entitäten Objekt, Agenten, Ereignisse, und Rechte konzipiert.

Die Entität Objekt bezieht sich auf das, was im Repositorium – in der oben genannten Übersetzung von PREMIS wird an Stelle von „Repositorium“ „Langzeitarchiv“ verwendet – gespeichert und verwaltet wird.

Die Entität Ereignis fasst Informationen über Handlungen zusammen, die die Objekte innerhalb eines Langzeitarchivs betreffen. Sie ist wichtig für die Kenntnis der digitalen Herkunft eines Objekts, was wiederum dem Nachweis der Authentizität des Objekts dient.

Agenten können Personen, Organisationen, oder Software-Anwendungen sein, die im Zusammenhang mit einem Ereignis oder Angaben zu Rechten eine Rolle spielen.

Probleme im Zusammenhang mit Rechten und anderen treten nicht nur im Zusammenhang mit der Benutzung von Inhalten auf, sondern auch mit ihrer Bewahrung, zumal die meisten Bewahrungsstrategien die Herstellung identischer Kopien bzw. von Derivaten von digitalen Objekten vorsehen. Solche Aktionen können durch das Urheberrecht oder andere Beschränkungen, etwa durch Auflagen von Deponenten, eingeschränkt werden PREMIS fasst mit seinen Rechts-Metadaten alle jene Einschränkungen zusammen, die einen direkten Einfluss auf die Bewahrung der Objekte in einem Langzeitarchiv haben.

Metadaten können zusammen mit den Inhalten, die sie beschreiben, gespeichert werden (z.B. in Fileformaten, die beschreibende Headers unterstützen, bzw. innerhalb von Containern), getrennt von den Inhalten (z.B. in einem externen Katalog) oder getrennt, aber verlinkt mit dem Inhalt (z. B. eine Datei in der Archivstruktur verlinkt mit dem digitalen Objekt). Jede Strategie hat ihre spezifischen Vor- und Nachteile. Es ist möglich und vielleicht auch erstrebenswert, diese Strategien parallel anzuwenden. Der Gebrauch standardisierter Container entwickelt sich zu einem Trend bei der digitalen Bewahrung von audiovisuellen Materialien dank der Fähigkeit, Dateien zueinander in Beziehung zu setzen. Container gestatten zusätzlich, die gesamte Primärinformation einer Datei innerhalb eines digitalen Objekts zu speichern.

15. Priorisierung

Früher oder später müssen alle audiovisuellen Dokumente, die langfristig bewahrt werden sollen, als Dateien in digitale Speichersysteme übertragen werden. Da dieser Übertragungsprozess zeitraubend und kostenintensiv ist, sollte er einer Strategie folgen, die auf der individuellen Situation der Sammlung und der spezifischen Politik des Archivs beruht. Allgemein müssen jene Bestände bevorzugt werden, bei denen das größte Risiko besteht, sei es durch Instabilität, oder durch Obsoleszenz (siehe Kapitel 3 und 4).

Folgende Träger sind potentiell von inhärenter Instabilität, Alterung oder unsachgemäßer Behandlung bedroht:

  • Zylinder
  • Nitrofilm
  • Direktschnittplatten aller Art, besonders Lackplatten („Azetat“-Platten)
  • Azetatbänder
  • Azetatfilm mit Anzeichen von Schädigung, z.B. Farbverlust, außer gefroren gelagerte
  • Halbzoll EIAJ Videobänder
  • U-matic Bänder
  • Bespielbare optische Medien, CD-R, DVD-R, etc.)

Priorisierung muss aber auch innerhalb des weiteren Rahmens der technischen Obsoleszenz gesehen werden: Viele Träger von verbreiteten trägergebundenen Dokumenten werden, obwohl sie altern, unsere Möglichkeiten, sie abzuspielen, überleben, was im Besonderen auf die meisten magnetischen Bandformate zutrifft (siehe Kapitel 4). Für viele, vermutlich die meisten Archive wird Obsoleszenz eine unmittelbarere Gefahr darstellen als Instabilität und Alterung.

Archiven, die beabsichtigen, ihre audiovisuellen Bestände selbst zu digitalisieren, wird dringend geraten, Zahl und Qualität ihrer Wiedergabegeräte mit der Größe der Bestände zu vergleichen und sofort Maßnahmen zur ausreichenden Verfügbarkeit moderner Geräte und unterstützender Infrastruktur einzuleiten, damit die gesamte Sammlung optimal übertragen werden kann (siehe Kapitel 7).

Kommentar:

Mit einer Ausnahme stellt die oben angeführte Liste der Träger keine Bewertung nach der Dringlichkeit dar. Das Setzen von Prioritäten innerhalb einer Sammlung muss auf einer Untersuchung basieren und wird vom individuellen Grad des Erhaltungszustandes der Träger, der Verfügbarkeit der geeigneten Geräte, und, zu einem geringeren Teil, von der Existenz von Duplikaten des Materials abhängen.

Die Ausnahme bilden sogenannte Lack- oder Azetatplatten. Selbst wenn derartige Platten noch in spielbarem Zustand sind, unterliegen sie dem hohen Risiko eines plötzlichen Zerreißens ihrer Lackoberfläche ohne vorangehende Warnung. Der Grund besteht im ständigen Schrumpfen der Lackbeschichtung, die zu einer immer größer werdenden Spannung zwischen dieser Schicht und dem Plattenkern führt. Daher sollten solche Lackplatten mit höchster Priorität in das Kopierprogramm aufgenommen werden.

Formatobsoleszenz führt zu einem raschen Verschwinden von entsprechenden Testgeräten, Testbändern und -platten, sowie Zubehör wie Leerspulen, Vorspann- und Klebebändern, etc. Testmaterialen für einige Ton- und Filmformate werden noch von einigen Erzeugern geliefert.

16. Kooperation

Der umfassende Austausch von Information zwischen Archiven, die Bewahrungsmaßnahmen durchführen, stellt eine ethische Verpflichtung dar. In diesem Sinne ist nationale und internationale Zusammenarbeit ein Gebot, besonders was den Informationsaustausch mit kleinen und weniger spezialisierten Sammlungen betrifft, für die mangels Ressourcen die Durchführung aller für die digitale Archivierung notwendigen Schritte nicht machbar ist.

Kommentar:

Der größere Teil des Weltbestandes an audiovisuellen Dokumenten, die die linguistische und kulturelle Vielfalt der Menschheit widerspiegeln, wird in verhältnismäßig kleinen Institutionen aufbewahrt, sowie bei den Feldforschern und anderen Privatpersonen. Kooperation und Informationsaustausch können diesen kleinen Sammlungen helfen, ihre Aufgaben zu planen und Prioritäten zu setzen, besonders was die Herausforderungen der Bewahrung sowie die Aktionen, die durch größere Archive ausgeführt werden sollten, betrifft. In einigen Fällen könnten größere Archive Teile der Sicherungsarbeit für kleinere übernehmen, einschließlich der Bewahrung kleinerer dateibasierter Sammlungen, bis die digitale Bewahrung auf einer breiten Basis erschwinglich wird.

17. Die Bewahrung der Wissensbasis von Archiven

Ein audiovisuelles Archiv ist völlig abhängig von der Erhaltung eines ganzen Systems, das zur Bewahrung seiner Dokumente und zur Gewährleistung des Zugangs zu ihnen notwendig ist. Ein grundlegender Teil des Systems, zusätzlich zu den spezialisierten Geräten und Anlagen, sind spezialisierte Kennnisse und Erfahrungen. Anstrengungen des Archivs sind daher unerlässlich, die nötigen Fertigkeiten und Kenntnisse zu erwerben und sie auf einem hohen Niveau aufrecht zu erhalten. Die Entwicklung und Weitergabe von Expertise an künftige Generationen ist eine besondere Herausforderung, die sorgfältige Planung und Förderung erfordert.

Daher muss ein Archiv sich und seine Mitarbeitenden auf dem letzten Stand des wissenschaftlichen und technischen Wissens auf dem Gebiet der audiovisuellen Archivierung halten. Dies schließt Information über die Extraktion von primärer und sekundärer Information von den Originalträgern ebenso ein wie die Verbesserung der Bewahrungsund Restaurierungspraktiken.

Das Technische Komitee der IASA zum Zeitpunkt der Annahme

George Boston
Kevin Bradley
George Blood
Mike Casey
Stefano S. Cavaglieri
Matthew Davies
Carl Fleischhauer
Jean-Marc Fontaine
Jouni Frilander
Ross Garrett (Secretary)
Lars Gaustad (Chair)
Bruce Gordon
Clifford Harkness
Jörg Houpert
Albrecht Häfner
Jean Christophe Kummer
Drago Kunej
Chris Lacinak
Franz Lechleitner
Hermann Lewetz
Xavier Loyant
Brad McCoy
Guy Maréchal
Michel Merten
Stig L. Molneryd
Kate Murray
Marie O’Connel
Bronwyn Officer
Will Prentice
Richard Ranft
Dietrich Schüller (Chair Emeritus)
Joav Shdema
Tommy Sjöberg
Gilles St-Laurent
Bill Storm
Adolph Thal
Nadja Wallaszkovits (Vice-chair)